Warum "Fachkräftemangel" eine glatte Lüge ist
Quelle: XING. Veröffentlicht von Robert Franken am 12. November 2017
Allerorten wird derzeit das Wort vom Fachkräftemangel kolportiert. Ganze Industrien stünden auf dem Spiel, weil ihnen fehlender Nachwuchs prognostiziert und sich aufgrund der vorhergesagten Bevölkerungsentwicklung noch weiter zuspitzen wird. Mehr als vier Millionen Deutsche arbeiten im Ausland. Damit sind wir Vize-Europameister direkt hinter Polen. Von allen Deutschen haben 15,1 Prozent einen akademischen Abschluss, von allen im Ausland arbeitenden Deutschen hingegen 84 Prozent. Wer geht, ist gut gebildet und flexibler. Weltweit tobt der sogenannte „War for talents“. Warum gehen vier Millionen Fachkräfte weg?
Zeit also ein wenig genauer hinzusehen.
Am Ende entpuppt sich der behauptete Fachkräftemangel als Strategie, die sich für Politik und Wirtschaft durchaus lohnen kann.
Eine erste Kandidatenauslese findet durch die Online-Bewerbungsplattform statt. Wer sich dort durchgekämpft hat, ohne sich die Haare auszuraufen, wird in mehreren Verhörrunden mit immer neuen Gesprächspartnern konfrontiert. Im Vorstellungsgespräch geht es selten um das, worum es eigentlich gehen sollte – den neuen Job. Stattdessen muss die Kandidatin mal wieder jeden einzelnen Schritt ihres Lebenslaufs rechtfertigen oder berichten, wie sie die größte Herausforderung ihres Lebens (Pflege und Tod der Oma) gemeistert hat. Oder auswendig gelernte Stärken und Schwächen vortragen.
Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt grundlegend. In den meisten Jobs brauchen Beschäftigte stetig frisches Know-how, weil sich Software, Hardware und Prozesse immer wieder verändern. Da verwundert es nicht, dass die meisten Berufstätigen davon ausgehen, dass sie in Zukunft auf mehr berufliche Weiterbildungen angewiesen sein werden. Mehr als drei Viertel glauben sogar, dass es für ihn oder sie berufliche Nachteile haben wird, wenn Fortbildungen nicht ermöglicht werden. Und immerhin jeder Zweite wäre selbst dann hochmotiviert bei einer Bildungsmaßnahme dabei, wenn er dazu vom Chef verpflichtet würde.
Das sind nur ein paar der Ergebnisse einer aktuellen Befragung von mehr als 10.000 Mitarbeitern aus Betrieben unterschiedlicher Größen und Branchen in ganz Deutschland. Durchgeführt wurde die Umfrage von der Hochschule für angewandtes Management und der Vodafone Stiftung.
Eine weitere Erkenntnis sorgt indes für Stirnrunzeln: Eine große Mehrheit der befragten Erwerbstätigen gab an, dass Fortbildungen für ihren Vorgesetzten nur eine untergeordnete Rolle spielten und es nur wenig strukturierte Bildungsangebote in ihrem Unternehmen gebe. Die Mehrheit der Befragten fühlt sich vom Chef also zu wenig beim Lernen unterstützt. Und das, obwohl zwei Drittel angaben, dass sie für ihren Job regelmäßig Neues lernen müssten. Lernen scheint in vielen Unternehmen dem Einzelnen selbst überlassen zu sein und wenig organisiert zu erfolgen. Nicht einmal jeder dritte Befragte in der Untersuchung gab an, dass in seinem Betrieb eine ausgeprägte Lernkultur bestehe. Und wer in den Genuss einer Weiterbildung kommt, erlebt häufig, dass er danach zwar über frisches Know-how verfügt, der Arbeitgeber dieses Wissen aber gar nicht nutzt. Nur 18 Prozent der Befragten sagten, dass ihr Chef ihre Aufgaben nach einer Bildungsmaßnahme auch an die neuen Fähigkeiten anpasse oder sie überhaupt abfrage und für die Arbeit nutze.
Allerdings lässt sich diese mangelhafte Eigeninitiative in Sachen Weiterbildung auch bei Führungskräften erkennen. So sei ihre Bereitschaft vielerorts auch nicht besonders groß, wie die Personalberatung Rochus Mummert in der Studie „Digital Leadership 2017“ festhält. Laut der Digital-Leadership-Studie befasst sich lediglich etwas mehr als die Hälfte (51 Prozent) der befragten Top-Führungskräfte während und außerhalb der Arbeitszeit bis zu zwei Stunden in der Woche mit dem Erwerb von Kenntnissen zur Digitalisierung.
Niemanden im Unternehmen interessiert, was ein Mitarbeiter leisten KÖNNTE oder wie er sich entwickeln KÖNNTE.Quelle: (zeit.de) Tina Groll (2016) Weiterbildung: Chefs interessieren sich zu wenig für betriebliche Bildung
Deutsche Reichsschulkonferenz (1920): „Wir brauchen 50% ungelernte Arbeiter. Das Wohl der Gemeinschaft kann es erfordern, dass bei vielen vorhandene Eigenschaften verkümmern müssen, damit andere Eigenschaften, die notwendig sind, entwickelt werden können.“ (Diskussionsbeitrag)
Weinstock (Religionspädagoge, 1938 und 1955): „Dreierlei Menschen braucht die Maschine: den der sie bedient, den der sie repariert und verbessert, den der erfindet und konstruiert. Offenbar verlangt die Maschine eine dreigliedrige Schule: Eine Bildungsstätte für die ausführenden, also zuverlässig antwortenden Arbeiter,ein Schulgebilde für die verantwortlichen Vermittler und endlich ein solches für die Frager,die theoretisch Begabten.“
Quelle: (Zeitschrift f. Pädagogik 1994 Heft 5, Kap. 2.4) Gewaltsame Verdrängung und prekäre Kontinuität. (ext.PDF )
Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte in der Adenauer-Ära das dreigliedrige, konfessionell geprägte Schulwesen der Weimarer Republik wieder auf. Viele schul- und bildungspolitische Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik Deutschland können deshalb historisch mit dem „Weimarer Schulkompromiss“ in Verbindung gebracht werden. Die Befürworter des dreigliedrigen Schulsystems und der Deutsche Philologenverband behaupten, der „Weimarer Schulkompromiss“ sei insgesamt ein guter Kompromiss gewesen. Die Befürworter der Gesamtschule und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft arbeiten wie die Schulreformer der 1920er Jahre beharrlich weiter daran, die Dreigliedrigkeit des Schulsystems und die bildungspolitische „Kleinstaaterei“ zu überwinden.
Quelle: (econstor) Authorin Schwabe-Ruck, Elisabeth (2010) Eine bildungshistorische Untersuchung zur Entwicklung und Konzeption des Zweiten Bildungsgangs
Quelle: XING. Veröffentlicht von Robert Franken am 12. November 2017
Quelle: www.karriereletter.de. Veröffentlicht von Lydia Krüger am 8. November 2017
Quelle: Kununu. Martin Gaedt im Interview am 6. April 2017
Quelle: WirtschaftsWoche. Authorin Saskia Eversloh
Quelle: heise.de. Aktuell und ältere Artikel
Quelle: Bundeszentrale f. politische Bildung (BPB)